Hans Ulrich Imesch
Weinberglistrasse 47
CH-6005 Luzern

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Aeroporto Lugano-Agno
Meine erste Stelle nach Lehrabschluss und RS war bei Otto Glaus. Sein Juwel Agno war in aller Munde und jeder, der sich – ob zu Recht oder nicht – für etwas hielt, wollte bei ihm arbeiten. Glaus schickte mich zum Team nach Arosa, das gerade den Kursaal umbaute. Am Kursaal angehängt war das Gebäude GKB, das bei vollem Betrieb total umgebaut werden sollte. Er übertrug mir die Aufgabe, diesen Auftrag auszuführen – von der Projektierung über Werkplanzeichnungen und Bauführung bis zur Bauabrechnung.

Das Tolle an Glaus war seine Ehrlichkeit, sein Enthusiasmus und sein Engagement. Wenn er unzufrieden war, konnte er toben, wenn er zufrieden war, genoss man seine volle Unterstützung.

Beispiel: Im Sitzungszimmer liess ich eine Wand dunkelviolett streichen. Der Banker war entsetzt. Er sprach nicht mehr mit mir, wartete einfach darauf, bis Glaus vorbeikam. Also standen wir zu dritt vor besagter Wand. Der Banker lehrte seinen Kropf. Glaus: „Wie hätten Sie’s denn gerne gehabt?“ Der Banker: „Hellblau, freundlich.“ Glaus: „Imesch, lassen Sie’s hellblau streichen.“ Zwei Wochen darauf wiederum vor besagter, nun hellblauer Wand. Glaus zum Banker: „Das Dunkelviolett war besser, wir streichen es wieder dunkelviolett.“

Geburtstag (21)
Die Bank war umgebaut und der junge Fotograf aus Arosa, Ruedi Homberger, fertigte ein Porträt an für die Zeitung. Wenn ich es so betrachte, stelle ich fest, dass mein Blick wieder einmal etwas fokussiert, das irgendwo in der Ferne liegt.

Glaus soll damals zu einem seiner Mitarbeiter gesagt haben: „Wenn der Imesch weg will, hält ihn nichts zurück. Du kannst ihm die schönsten Arbeiten und den dreifachen Lohn anbieten, er wird gehen ...“ Glaus war nicht nur ein guter Architekt, sondern auch ein guter Menschenkenner.

Fotografieren
Wie Marshall Mac Luhan sagte: „Die Kamera ist die Fortsetzung des Auges“. Ein Karriere als Fotograf wäre durchaus drin gewesen ...

Malen
Ich bin dann zunächst nach Genf gezogen, wo ich bei Marc Saugey und Bongard et Nierlé arbeitete. Das besondere Ereignis aber war, dass die Galerie Connaître meine Bilder ausstellte.

Meine Inspirationsquelle beim Malen war die Natur – die Berge um Arosa oder die Weite der Camargue. Ich legte ein grosses weisses Blatt vor mich hin und liess die Natur um mich herum auf mich wirken. Ich zeichnete sie nicht ab, aber ich zeichnete, was ich durch sie empfand. Sich auf die Natur einzulassen, sich auf sie zu konzentrieren, dauerte seine Zeit. Dann entstanden die Bilder sehr schnell – einer Entladung gleich in Sekunden.

Einer der Besucher schrieb ins Gästebuch der Galerie Connaître: „... il cherche l’Absolu ...“. Möglicherweise liegt darin der Grund, weshalb ich danach im Laufe der Zeit beinahe alle Bilder „entsorgte“. Ich war einfach nicht zufrieden mit ihnen. Beides schmerzte gleichermassen: die Unzufriedenheit und die Vernichtung. Ich bin froh, dass diese hier „überlebt“ haben.

... ist nach Paris gezogen ...
Nun schien ich mir für Paris reif zu sein. Ich nahm einen Nachtzug, bei mir hatte ich einen Blechkoffer mit allem drin, was ich zu brauchen meinte. Es war für mich klar, dass ich nie mehr zurückkehren würde.

Von Paris hatte ich lediglich einen Kopf voller Vorstellungen und in der Tasche die Adresse von Alain Bourbonnais, einem erlauchten Architekten, und ich war sicher, dass der mich anstellen würde. Ich bezog Logis in einem kleinen Hotel beim Odeon und ging zu Bourbonnais, der sein Atelier gleich um die Ecke hatte.

Bourbonnais hatte gerade ein Loch, doch er meinte, er werde mich seinem Kollegen Michel Colle empfehlen. Colle sei Architekt und Urbaniste. Also ging ich anderntags an die Rue Blomet. Colle fragte: „Verstehst du etwas von Städtebau?“ Ich sagte Ja. Also stellte er mich an und bezahlte (sehr zu meiner Freude) einen einem „Urbanisten“ angemessenen Lohn.

Quetigny
Colle war irgendwie mit der Politik verlinkt und damals musste jeder, der Präfekt oder Maire werden wollte, seiner Wählerschaft eine Satellitenstadt präsentieren. So kam es, dass jeder Mitarbeiter auf seinem Zeichentisch eine Satellitenstadt – ohne je vor Ort gewesen zu sein – entstehen liess. Im Atelier hatte es eine Galerie, auf die wir stiegen, um von dort einen Überblick auf „unsere“ Städte zu haben.

In gewisser Weise handelte es sich bei diesen Entwürfen um reine Grundrissgrafik. Das Verrückte aber ist, dass die meisten gebaut wurden.

Nach einem Jahr, in dem Colle voll des Lobes bezüglich meiner Arbeit war, stellte er mich auf die Strasse. Weil ich einen „Saugrind“ hätte. In der Tat, ich fing an, aufzubegehren – mir schien dieser Approach des Städtebaus doch eher fragwürdig.

Unité de recherches médicales sur le métabolisme des molécules marquées a Clermont-Ferrand
Zu jener Zeit hatten die Ateliers nur wenige Festangestellte. Der Haufen war eine Horde herumziehender Studenten der Ecole des Beaux Arts. Also schloss ich mich diesen an, vagabundierte durch die Büros von Candilis-Josic-Woods und J. P. Lecoin, besuchte Vorlesungen und Seminare an der Beaux Arts und landete schliesslich bei Roland Mendelsohn.

Mendelsohn war „Hofarchitekt“ beim Gesundheitsministerium, das unter anderem bei jedem CHU (Centre Hospitalier Universitaire) im ganzen Land gemäss Fünfjahresplan zu einem bestimmten Thema Forschungslaboratorien baute. Während Mendelsohn sich allem Diplomatischen und der Umsetzung der Projekte annahm, hatte ich freie Hand, die Projekte zu entwerfen.

Unterkünfte
Nach dem zwar einfachen, aber doch sehr gepflegten Hotel an der Rue Monsieur le Prince im Quartier Saint Germain mietete ich mich in einem billigen Appartement-Hotel in der Rue Duperré beim Pigalle ein. Mein „Appartement“ war rund 12 m2 gross, darin hatte es neben einem französischen Bett einen Gaskocher, die Toiletten und Duschen waren im Treppenhaus und das Fenster ging auf einen Lichtschacht.

Später bezog ich eine (unmöbelierte) Mansarde an der Rue Tocqueville im 17. Arrondissement. Sie war 10 m2 gross, Toiletten und Duschen lagen ebenfalls im Treppenhaus. Ich beschlagnahmte einen Kasten, der im Flur stand, strich den weiss, wie auch die Wände und Decke. Auf den Boden liess ich einen schwarzen Teppich legen, der auch eine Matratze abdeckte. Wieder später bezog ich einen ziemlich grossen Raum (Estrich) mit schrägem und knarrendem Boden und nicht ganz dichten Fenstern – fragen Sie mich nicht, ob der geheizt war – über einer Sägerei an der Rue Raymond Losserand im 15. Arrondissement.

Dandy
Eigentlich lernte ich in Paris einige interessante Seiten von mir kennen. Die eine ist die des Clochards. Ich erinnere mich, dass es bei jenem Gang zu Bourbonnais über eine Brücke der Seine ging, unter der eine Bande verwahrloster Jugendlicher campierte, und ich war einen Moment lang versucht, mich zu ihnen zu gesellen. Aber ich ging weiter, Dandy siegte.

Ich kaufte mir Krawatten bei Pierre Cardin, eine dunkelrote Schale in einer anderen Boutique und die Hemdenauswahl in den Läden war so riesig, dass ich schliesslich für jeden Tag im Monat ein anderes Hemd anziehen konnte, was meinen damaligen Chef, Michel Colle, ziemlich beeindruckte. Dann gab es natürlich auch die feinen Restaurants und überhaupt alles, was es zu einem angenehmen Leben brauchte.

Schicksal?
Ich hätte vermutlich mein ganzes Leben in Paris verbracht, wäre nicht dieser „fatale“ Gang in einen Buchladen gewesen. Es lag da gerade das aktuelle Architecture d’Aujourd’hui auf über „grande-bretagne“.

So sah ich Werke von Sheppard, Leslie Martin, John Wilson, Denis Lasdun, Owen Luder, Rodney Gordon und vor allem von James Stirling, Cedric Price und Archigram. Und noch bevor ich das Heft ganz durchgeblättert hatte, war der Entschluss gefasst: „Ich muss da hin.“

Psychedelic World
London war zu dieser Zeit die Stadt der Städte. Alle Dämme konservativer Lebenseinstellungen, die bislang das kreative Wasser zurückhielten, schienen gebrochen. Ein kollektiver Rausch. Eine Art offenes Irrenhaus – in dem es mir sehr wohl war.

Alle und alles war davon erfasst. In Architektur, Mode, Design, Musik wurden Meilensteine gesetzt. Es war eine kollektive Aufbruchstimmung von ungeheurer Kreativität. Und das Verrückteste war selbstverständlich, war Alltag.

Krishnamurti
Joan Nixon (Tochter des englischen Botschafters in Indien) war dem „Spirituellen“ zugetan. Sie installierte im Park um ihre Villa ein grosses Zelt, in dem Vertreter der spirituellen Welt vor einem erlauchten Publikum Referate hielten. Einmal meinte sie, „jetzt musst du kommen, Krishnamurti (der mir damals völlig unbekannt war) wird sprechen“. Also sitze ich da in der erlauchten Menge und warte gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten.

Dann (mit etwas Verspätung, wie es sich gehört) erschien er. Ohne die geringsten Allüren. Gekleidet in einem smarten, gut sitzenden dunkelblauen Anzug aus feinem Stoff. Er begab sich zur Mitte, setzte sich da auf den Stuhl, der da auf einem Tisch stand, schloss die Augen und sprach einen Faden, der zwei Stunden lang war, über „Beauty“.

Ich gestehe, ich war beeindruckt.

UK, USA oder CH?
Es fing damit an, dass ich begann, diese Backstein-Reiheneinfamilienhäuschen aus der Sicht eines Käufers anzuschauen. Es bestand also die Tendenz, in London sesshaft zu werden. Joan meinte: „Deine Zukunft sind die USA!“ Deborah wiederum meinte: „Und was ist mit der Schweiz?“

Ich war unschlüssig, bis ich den salomonischen Entscheid fällte: „Also, wir ziehen für ein Jahr in die Schweiz, um zu schauen, wie es dort ist, und entscheiden dann, entweder nach London zurückzukehren oder in die USA zu ziehen.“

Deborah fragte: „Wohin willst du in der Schweiz?“ Ich antwortete, es sei mir egal, und fragte zurück: „Wohin möchtest du?“ Die Antwort war Basel.

... ist nach Basel gezogen ...
Mit meinem in den Londoner Büros feingeschliffenen entwerferischen Know-how war ich in Basel willkommen. Ich arbeitete als Freelancer vor allem für Wilf Steib im Rahmen von Wettbewerbsteilnahmen oder akquisitatorischen Entwürfen. Die wichtigsten Arbeiten waren der Projekt-Wettbewerb Primar- und Sekundarschulanlage Margelacker in Muttenz (1. Preis, ausgeführt), Ideen-Wettbewerb Stadterweiterung Olten Süd-West (6. Preis), eingeladener Projekt-Wettbewerb Erweiterung Klosterschule Engelberg (kein Preis, der Sieger stand, wie sich im Nachhinein herausstellte, zum Voraus schon fest), Projekt Hauptsitz Bankverein (heute UBS) in Münchenstein, Projekt Hotel-, Kongress- und Casinoanlage in Bottmingen, städtebaulicher Ideen-Wettbewerb Überbauung ehem. Schlachthofareal St. Johann in Basel (2. Preis).

Daneben nahm ich auf eigene Rechnung an verschiedenen Wettbewerben teil. Es waren dies zum Beispiel die Projekt-Wettbewerbe Berufsschulhaus Stampfenbachstrasse Zürich, Psychiatrische Universitätsklinik Embrach, Gymnasium Le Locle, und dann nahm ich auch am Eidgenössischen Kunststipendienwettbewerb (1968) teil.

Trance
Der Plan Kunststipendienwettbewerb ist der grösste, den ich je gezeichnet habe: 2 Meter breit und 2,50 Meter hoch. Das Besondere daran sind aber nicht die Grösse und die feine handwerkliche Arbeit, sondern die Art, wie der Entwurf entstand. Das Thema war frei. So war ich frei. Ich fragte mich einfach, was ist das Gebäude der Zukunft, in dem Zukunft erforscht wird.

Ich wiederholte diese Frage wie ein Mantra und fing mit dem Zeichnen an. Ich geriet dabei in einen Zustand, den man, wie ich heute weiss, Trance nennt. Es ergab sich alles von selbst. Jeder Strich forderte einen nächsten und übernächsten. So vergingen Tage und Nächte. Nach einer Woche war der Plan fertig.

Kollege Dieter, der mich auf diesen Wettbewerb aufmerksam gemacht hatte, kam vorbei. Er war beeindruckt und meinte neidlos: „Das ist genial.“ Dann fügte er an: „Du wirst sehen, du bekommst keinen Preis. Ich habe einen Kindergarten eingegeben und du wirst sehen, ich bekomme mit meinem Seich einen Preis.“ Und so war es dann auch. (Luzius Burckhardt (damaliger Redaktor der Fachzeitschrift Werk-Bauen+Wohnen) war schlicht empört, dass ich leer ausging. „Bringen Sie mir den Plan, ich publiziere ihn.“)

Mandala
Das Entwerfen bringt es mit sich, dass man rund um die Uhr damit beschäftigt ist. Einmal, am Morgen nach einer weiteren weissen Nacht, wanderte ich durch die Stadt. Ich kam beim Spalentor vorbei und da blieb ich plötzlich wie angewurzelt stehen. Ein Schaufenster lachte mich an. Darüber stand sowas wie „Christliche Buchhandlung“.

Ich dachte, was soll nun das? Aber die ganze Ratio nützte nichts, ich ging zum Fenster.

Da lag ein Buch. „C. G. Jung, Mandala“ stand auf dem Deckel. Ich schaute das Bild darauf an und dachte, „das ist doch das, wonach du suchst“.

Doch ich kaufte das Buch nicht. Ich meldete mich auch nicht gleich am C. G.-Jung-Institut an. Nein, ich vergass das Buch. Ich hatte plötzlich nur noch ein Ziel: an die ETH. Dort wird man doch um alle Geheimnisse wissen, welche die Ursachen kreativen Entwerfens sind.

Systemdenken
Wie durch ein Wunder, oder als ob sich Wünsche einfach so erfüllen, bekam ich am Lehrstuhl von Prof. Walter Custer eine Anstellung als Unterrichts- und Forschungsassistent.

Es war eine eher kopflastige Zeit (1968ff), auch wenn hin und wieder Steine flogen. Es wurde viel debattiert, gelesen, zitiert, vor allem Politisches, Linkes. Entworfen im architektonischen Sinn wurde nicht mehr. Ein umstürzlerischer, hinterfragender Zeitgeist wehte, der natürlich auch an mir nicht spurlos vorüberging. Doch der politische Hickhack interessierte mich nicht, eine Auszeit vom Entwerfen zu nehmen kam mir aber entgegen – ich wollte ja herausfinden, was denn die eigentliche Quelle ist, aus der so kreative Ideen sprudeln.

Custer hielt Vorlesungen über ORL-Planung. Ich schlug ihm vor, seine Vorlesung dazu zu verwenden, Methoden und Denkansätze vorzustellen mit disziplinenübergreifendem Charakter. So entstand unter dem Stichwort „Systemdenken“ eine Vorlesungsreihe mit Professoren in Informatik, Operation-Research, Kybernetik, Zukunftsforschung, Computerwissenschaften, Morphologie, Philosophie, Politologie etc. Die Literaturliste umfasste Hunderte von Titeln und nach vier Jahren „Systemdenken“ drohte mir der Kopf zu platzen.

Timimoun
Dann schickte mich Custer in die Wüste. Er meinte: „Unsere Studenten interessieren sich immer mehr für ein berufliches Engagement in Entwicklungsländern.“ Er beauftragte mich, für Architekturstudierende im 4. Ausbildungsjahr einen Jahreskurs aufzubauen und eine nichtkommerzielle Zusammenarbeit zwischen ETH und der Architekturschule der Universität Algier und dem algerischen Wohnbauministerium in die Wege zu leiten. Der Algerische Staat (Boumedienne) verfolgte das Ziel, innert nützlicher Frist 1000 sogenannte Villages Socialistes Agricoles aus dem Boden zu stampfen.  

Der Kurs war so gegliedert, dass nach der Phase der Einarbeitung und Grundlagenerstellung ein Landaufenthalt von rund einem Monat folgte, danach wurden die Projekte, die den algerischen Partnern abgegeben wurden, ausgeführt. Der Kurs wurde von 1975 bis 1978 angeboten, insgesamt nahmen rund 40 Studierende teil.

Schliesslich initiierte ich die Forschungsarbeit Timimoun. Es ging dabei darum, das Know-how der Einheimischen in Erfahrung zu bringen, wie sie die Wüste besiedeln. Das Ziel war, daraus Regeln abzuleiten für eine planmässige Besiedlung der Sahara. Unser Studiengebiet war ungefähr so gross wie die Schweiz. Darin lebten rund 50’000 Menschen in rund 100, weit zerstreut liegenden Oasen.

Marabou
Ich war allein unterwegs in der Sandwüste zwischen Oasen, die etwa 30 Kilometer auseinanderlagen. Es wehte ein leiser Wind, der meine Fussabdrücke hinter mir sorgfältig ausradierte und den unberührten Zustand der Natur, als wäre nie ein Mensch hier gewesen, wieder herstellte.

Es wurde mir verschiedentlich gesagt, „Gott“ hätte die Wüste erschaffen, um einen Ort auf Erden zu haben, der von allem Überflüssigen befreit, ihm ein Wandeln auf Erden in Ruhe ermöglicht. Nun ist die Sahara aber auch eine Frau. Ihr Name ist „die Gelblich-Rötliche“.  

Ich war also unterwegs auf diesem weiblichen Körper mit seinen üppigen und makellosen Formen. Der Wind wurde stärker, wirbelte den Sand auf eine Höhe eines halben Meters auf, sodass es aussah, als räkle sich die Frau unter einem gigantischen Schleier. Mir gefiel das und ich begann, den Bewegungen des Schleiers nachzutanzen. Eine ganze Zeit lang, in der ich mich vergass. Als ich gerade wieder über eine Dünenkuppe tanzte, hörte der Sandwind mit einem Schlag auf und vor mir stand, einem Geist gleich, eine Baute, ein Grab. Kein schlechter Ort zum Sterben, fand ich.

Wie ich so meinen Gedanken nachgehend dastand, erschien vor der Baute schwebend das Bild, das ich rund ein Jahrzehnt zuvor auf dem Buchdeckel in jenem Schaufenster gesehen hatte.

Prof. Walter W. Custer
Custer ist der Mensch, der mich, ohne dass ich davon wusste, wohl am nachhaltigsten darauf vorbereitet hat, was sich in meinem Leben noch ergeben würde. Was uns innig verband, offenbarte sich erst ganz am Ende. Ich war in der Sahara, Custer wurde 70 und ich wollte ihm etwas schenken. Doch was? Da kam mir ein Traum in den Sinn, den ich von ihm gehabt hatte. Ich schrieb diesen auf und schenkte ihm sozusagen diesen Traum.

Als wir uns später begegneten, bedankte er sich und meinte: „Ja, wir sollten Träume stets beachten.“ Da sagte ich ihm, dass ich seit einem Jahr am C. G. Jung-Institut studiere. Er war hochbegeistert: „Das wollte ich doch auch!“ Seine Eltern betrieben in Rapperswil eine Apotheke, bei der Jung stets vorbeikam, wenn er zu seinem Turm in Bolligen fuhr. Eines Tages, erzählte Custer, sei er auf Jung zugegangen und habe ihm gesagt: „Ich möchte Ihren Beruf erlernen, wie macht man das?“ C. G. Jung: „Lerne zuerst etwas Bodenständiges, dann siehst du weiter.“

Custer war noch ganz in dieser Erinnerung versunken, als er mich anschaute und nichts mehr sagte. Aber seine Augen verrieten, dass er dachte: „So, wie Sie es machen.“ Es war für mich wie ein väterlicher Segen.