Hans Ulrich Imesch
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Wettbewerbe

Wirklichkeit

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Das architektonische Entwerfen können wir so sehen, dass es ein Feld gibt, in dem gepflanzt werden kann. Das Feld hat eine Grenze. In der Psychologie wird dieses begrenzte und bekannte Anbaufeld „das kollektive Bewusstsein“ genannt. Alles, was ausserhalb dieses Feldes liegt, ist unbekannt und nennt sich „das kollektive Unbewusste“.

Nun ist es so, dass innerhalb dieses Feldes des kollektiven Bewusstseins eine gewisse Dynamik herrscht und dass die Grenze nicht haarscharf ist, sondern eine gewisse Bandbreite hat. Mit dem Ziel der Sicherung des Status quo besteht auf der einen Seite die Tendenz, zu bewahren, auf der anderen Seite versucht sich das Feld zu vergrössern, die Grenze hinauszuschieben, immer mehr vom kollektiven Unbewussten in das kollektive Bewusstsein zu integrieren. Man nennt dies Bewusstseinserweiterung.

Die meisten Menschen befinden sich mit ihrem Bewusstsein innerhalb des Feldes und Sicherheit ist ihre Priorität. Je mehr sich ein Mensch mit seinem Bewusstsein der Grenze nähert, umso argwöhnischer wird er von der Masse im Zentrum beobachtet, denn in gewisser Weise stellt er eine Gefahr dar: Es drohen durch sein Tun Veränderungen.

Wirklich kreative Menschen sind solche, die sich mit ihrem Bewusstsein am Rand des Feldes befinden, ja über dessen Grenze hinausschauen, oder solche, die die Grenze sogar überschritten haben, sich ins Neuland gewagt haben. Dieses Ringen um Grenzverläufe ist in der Architektur bei Wettbewerben besonders gut zu beobachten. Es ist die Jury, die den Grenzverlauf festlegt.

Verzeichnis Wettbewerbe
Beispiele auf dieser Website

SBB ATG Besucherzentren
2001 in ARGE IGGZ-PSTArch
Beitrag Imesch:
Idee, Konzept, Philosophie, Design

Ich hatte vor Jahrzehnten, wegen der relativ geringen Erfolgsaussichten meiner Projekte, beschlossen, nicht mehr an Wettbewerben teilzunehmen. Doch jetzt ging es um das Jahrhundertwerk Alpen-Transit-Tunnelröhre und den magischen Ort Gotthard.

Anstelle des „klassischen“ Erläuterungsberichts schrieb ich die Geschichte von RR und Hildegard, wie und wieso sie eine Reise zu den ATG-Besucherzentren planen und was sie dort zu erleben hoffen. Die Jury fand das unzulässig und wir flogen im ersten Rundgang (wegen unvollständiger Eingabe) raus.

Eidg. Kunststipendienwettbewerb
1968 Selbst.
Beitrag Imesch:
Entwurf, Visualisierung

Der Plan für den Kunststipendienwettbewerb ist der grösste, den ich je gezeichnet habe: 2 Meter breit und 2,50 Meter hoch. Das Besondere daran sind aber nicht die Grösse und die feine handwerkliche Arbeit, sondern die Art, wie der Entwurf entstand. Das Thema war frei. So war ich frei. Ich fragte mich einfach, was ist das Gebäude der Zukunft, in dem Zukunft erforscht wird.

Ich wiederholte diese Frage wie ein Mantra und fing mit dem Zeichnen an. Ich geriet dabei in einen Zustand, den man, wie ich heute weiss, Trance nennt. Es ergab sich alles von selbst. Jeder Strich forderte einen nächsten und übernächsten. So vergingen Tage und Nächte. Nach einer Woche war der Plan fertig.

Kollege Dieter, der mich auf diesen Wettbewerb aufmerksam gemacht hatte, kam vorbei. Er war beeindruckt und meinte neidlos: „Das ist genial.“ Dann fügte er an: „Du wirst sehen, du bekommst keinen Preis. Ich habe einen Kindergarten eingegeben und du wirst sehen, ich bekomme mit meinem Seich einen Preis.“ Und so war es dann auch.

Gewerbeschulhaus Zürich
1967 Selbst.
Beitrag Imesch:
Entwurf, Visualisierung, Modell, Modellfotos

Sehen Sie, dieses Projekt ist das, was Architekten einen Wurf nennen. Bei der Jurierung flog es gleich im zweiten Rundgang raus. Irgendwo war eine Baulinie überschritten, es hatte zu viele Kubikmeter Bauvolumen und überhaupt: Was soll diese starke, ja fast dramatische Inszenierung?

Wäre das gebaut worden, wäre ich mit 28 auf einen Schlag berühmt gewesen. Ich hätte nicht mehr gewusst, wie mich der Aufträge erwehren. So wie Theo Hotz, der etwa zu dieser Zeit das Swisscom-Gebäude beim Hardturm baute – der Startpunkt seines kometenhaften Aufstiegs. Hotz und ich sprachen damals eine gleiche Architektursprache. Nur, ich beherrschte sie besser, virtuoser, ideenreicher. Weshalb wurde die seine gehört und die meine nicht? Eine Frage, auf die ich keine Antwort fand. Ich haderte mit dem Schicksal.

Sehen Sie, heute bin ich ihm (dem Schicksal) dankbar. Wäre ich damals berühmt geworden, wäre ich heute wahrscheinlich sehr reich, aber innerlich unzufrieden. Osho: „Jeder Mensch kommt mit einem speziellen Schicksal auf diese Welt. Er hat etwas zu vollbringen, eine Nachricht zu vermitteln, eine Arbeit fertigzustellen“. Damit es nicht so fatalistisch klingt, können wir anstatt Schicksal Bestimmung sagen. Meine Bestimmung war, ich kann das heute ja sagen, weil ich zurückblicken kann, eben nicht, mich auf Lorbeeren auszuruhen, sondern das Abenteuer zu wagen. C. G. Jung: „Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein.“

St. Johann Basel
1970 für Wilf Steib Arch BSA/SIA Basel
Beitrag Imesch:
Entwurf, Visualisierung, Modellfotos

Das Schlüsselerlebnis. Als mich Wilf anrief, ich solle für ihn am städtebaulichen Wettbewerb St. Johann teilnehmen, waren es noch sechs Wochen bis zur Abgabe. Das Programm war spannend: 100 Wohnungen, Einkaufszentrum, Primar- und Sekundarschulhaus, Schwimmbad und Sportanlagen, Kirche, Kino, Theater und Vereinsräume und Anlegestelle der Passagierschiffe, die den Rhein hoch- und runterfahren. Also die Lage am Rhein, das historische Stadttor St. Johann als Kulisse – es war ein interessanter Kontext. Bloss, das Grundstück (von oben gesehen) hatte eine ekelhafte Form. Mit meinen ganzen entwerferischen Skills, die doch ziemlich elaboriert waren, brachte ich (aus meiner Sicht) nichts Gescheites, was meint Evidentes, hin.

Wie üblich arbeitet man bei einem solchen Wettbewerb Tag und Nacht durch. Zwei Wochen vor Abgabe, ich hatte noch keine Lösung, legte ich mich erschöpft auf die Matte, schlief ein, und da träumte mir: „Ich schwebe in etwa 500 Meter über besagtem Grundstück. Ich schaue hinunter und sehe nichts als eine schwarze Fläche. Doch dann kommt etwas in Bewegung. Bauten kommen zum Vorschein, da ein Hochhaus, dann noch eins, noch ein weiteres, eine ,Sunken Plaza’, ein Querbau mit einer Plattform zum Rhein, der dem Ganzen einen Halt gibt.“ Ich erwache begeistert, stehe auf, rufe Wilfs Mitarbeiter an, sie sollen sich zum Aufzeichnen bereit machen. Alles stimmte auf den Millimeter, das Projekt erhielt den 2. Preis.

Nachtrag: Nach diesem Ereignis setzte ich meinen Namen nicht mehr hinter die Angabe, von wem der Entwurf stammt. Es war mir jetzt klar, dass nicht ich es bin, der entwirft, es gibt da noch etwas, aber was? Es ist das, was entwirft, ich bin„bloss“ ein Medium. Mein Ego brach deswegen nicht ein. Im Gegenteil, ich fragte mich, ob es wohl eine Möglichkeit gibt, diesem Etwas zu begegnen?

Olten SW
1968 für Wilf Steib Arch BSA/SIA Basel
Beitrag Imesch:
Entwurf, Visualisierung, Modellfotos

Ich könnte mir das Projekt heute noch vorstellen. Die Stadt als Megazeichen. Ohne Bezug zum identitätslosen baulichen Ort Olten. Ein Superzeichen in sich als Ausdruck zeitgemässen Lebens. Der Bezug wird zum gesamtschweizerischen Umfeld gesehen. Ein Zentrum der Auto-mobilen Gesellschaft mit direktem Anschluss an die A1, dem Autobahnrückgrat der Schweiz. Dann die Lage am schweizerischen Eisenbahnknoten. Von hier sind Zürich, der Flughafen, St. Gallen, Luzern, Bern, Basel, Biel, Solothurn, Fribourg, Lausanne, Genf, alles in gleicher Reichweite. Dimensionen der Bauten im Einklang mit der Landschaft. Urbanes Wohnen, Arbeiten und Leben von Singles, Konkubinatspaaren, Alleinerziehenden, Frühreifen, geistig jung gebliebenen „Rentnern“, Freigeistern, staaten- und heimatlosen Weltbürgern, Ethnienmix, Sprachvielfalt, Aufgeschlossenen, Weltinteressierten in Monolithen in unberührter Landschaft.

Klosterschule Engelberg
1969 für ARGE Steib-Häfelfinger
Beitrag Imesch:
Entwurf, Visualisierung

Häfelfinger war einst Schüler dort, weshalb man ihn zur Teilnahme einlud. (Obschon der Gewinner, wie sich im Nachhinein zeigte, Ernst Gisel, Liebling des Abtes, bereits feststand.) Häfelfinger wandte sich an Steib und dieser an mich. Zusammen „pilgerten“ wir hin. Wie wir in den imposanten Kirchenraum kamen, setzte sich der Mitarbeiter (den ich nicht besonders mochte) von Häfelfinger an die grosse Orgel und spielte. Ich platzte vor Eifersucht aus allen Nähten. Und ich fragte mich, wieso kann dieser Mensch, der nicht entwerfen kann, so schön die Orgel spielen? Besagter Mitarbeiter (seine Frau war Psychiaterin) meinte dann später, meine Entwürfe sähen aus wie Vorlagen zum „Rorschach-Test“.

Eigentlich hätte ich aufhorchen müssen (denn es war ein Wink mit dem Zaunpfahl). Aber ich wies es von mir. Meiner damaligen Meinung nach ging es bei Psycho-Tests ja lediglich darum, Abweichungen von der Norm festzustellen. Um die „Abweichler“ in psychopathologischen Schubladen zu versorgen. Die Norm will sich behaupten und sagt, ver-rückt ist Abweichung von der Norm. Nun, ich wusste, dass ich nicht der Norm entsprach, aber war ich deshalb gleich krank?

Kreativsein ist ein Ausnahmezustand. Er ist eine Abweichung von der Norm. Die Norm ist geregelt von man tut dies und jenes tut man nicht, von Leitplanken, von Vorschriften, Regeln, Gesetzen etc. Kreativität hat darin nur sehr beschränkt Platz. Kreativität ist der Norm ein Dorn im Auge. Sie (die Kreativität) befindet sich jenseits der Norm. In gewisser Weise kennt sie kein Tabu. Ohne Kreativität wird das Leben allerdings schal und grau. Kollektiv gesehen führt die Absenz von Kreativität oder die Dominanz der Norm, neben Alkohol-, Medikamenten-, Drogenmissbrauch zu dem seelischen Zustand, der heute Burn-out genannt wird. Aber auch das ist eine Verschleierung durch die Norm: Wie wollen Menschen, die nie Feuer hatten, ausgebrannt sein? Burn-out meint nichts anderes als Depression. (Gemäss dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium OBSAN leiden in der Schweiz um die 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an ernsthaften [behandlungsbedürftigen] depressiven Verstimmungen. Die Pharmaindustrie freut’s.)